Sonntag, 8. März 2015

Lydie Thorun


Menschen in Baden-Baden, heute:
 
Lydie Thorun




Für wieviele Leute soll ich kochen?“, fragte Lydie Thorun vergangene Woche vollkommen entspannt bei den Vorbereitungen für das Willkommensfest für die Asylbewerber am 21. März in der Festhalle Oos. „Für zweihundert? Für tausend? Alles kein Problem.“ Auch die gewünschte Küche – asiatisch? Afrikanisch? Deutsch? Brasilianisch? Persisch? - wäre keine große Herausforderung für sie. „Ich koche, was ihr wollt.“

Das machte mich natürlich neugierig auf diese in sich ruhende Frau.

Kochen ist meine Leidenschaft“, räumt sie auch sofort ein, als ich sie ein paar Tage zuhause besuche darf. Lydie Thorun stammt aus einer großen Familie im Kamerun, neun Geschwister, dazu Cousins, Cousinen, Tanten, Onkels... Zwanzig Personen saßen zuhause eigentlich immer am Tisch. „Sobald meine Oma früh aufstand, begann sie zu kochen. Und was für Töpfe sie hatte!“ Lydie Thorun macht eine weite Armbewegung. „Ich stand daneben und habe sie dafür immer bewundert.“ Später wurde sie von der Mutter angehalten, ebenfalls in der Küche mitzuhelfen, und so ging ihr das Kochen für viele Köpfe - oder besser Mägen - in Fleisch und Blut über.

Das können in Baden-Baden einige Menschen bezeugen. Denn jeden Donnerstag lädt die engagierte 53jährige einen großen Kreis zu sich zum Essen ein. Zwölf bis zwanzig Personen sind es meist, mehr passen nicht in das kleine, gemütlich enge Wohnzimmer.

Was kocht man denn für so viele Leute? Sicher ganz exotische Dinge? Ich male mir fremde Gerüche und Zutaten aus, lande aber schnell auf dem Boden der Völkervielfalt: Was für eine gebürtige Kamerunerin vielleicht exotisch erscheint, ist es nicht unbedingt für eine Europäerin: „Etwas Italienisches“ habe sie sich für dieses Mal ausgedacht, verrät sie mir und lädt mich ein, ihr bei den Vorbereitungen zuzusehen. Ein Blick auf mein enttäuschtes Gesicht reicht ihr, um umzudisponieren. „Nicht exotisch genug?“ Sie lacht. „Okay, dann weiß ich schon...“

Kochbücher sucht man bei ihr übrigens vergebens. „Wenn ich irgendwo eingeladen bin, und ich koste – sagen wir – zum ersten Mal etwas typisch Vietnamesisches, dann versuche ich es gleich in der nächsten Woche irgendwie nachzukochen. Vielleicht nicht mit genau denselben Zutaten, aber doch so, dass man es wiedererkennt“. Dann bin ich ja mal gespannt auf eine Kostprobe ihres kulinarischen Könnens!

Donnerstag, 18 Uhr. Erwartungsvoll schnuppere ich, während ich den Hausflur betrete. Paprika rieche ich sofort heraus. Die Köchin empfängt mich mit verlegenem Lächeln. Sie hat leider doch keine Zeit gehabt für ein aufwendiges „exotisches“ Mahl, und so gibt es eben eine Nudelpfanne mit Lachs, Erbsen, Möhren, Paprika, Blumenkohl und Sahne.




Was die Menge und die Ausmaße des Topfes angeht, kann ich beruhigt sein: Die Kompanie wird satt werden!



Falls nicht... gibt es natürlich auch noch einen Kuchen.




Die ersten Gäste klingeln, Zeit für mich zu gehen, denn ich will die Gruppe nicht durcheinanderbringen und nicht stören. Wie der Abend verlaufen wird, hat Lydie Thorun mir ja schon beim ersten Besuch geschildert:

Es wird gegessen, gebetet und viel geredet. Über was? „Ach, alle möglichen Themen“, seien das, wiegelt sie erst einmal unaufgeregt ab. Dann aber verrät sie mir, dass sich die Gespräche sehr häufig um die Sorgen und Geschichten der Asylbewerber drehen, die durch Mund-zu-Mund-Propaganda zu ihr finden und unter ihre Fittiche schlüpfen.

Denn Lydie Thorun hat ein weites Herz. Sie kümmert sich nicht nur um Menschen, die hier in Deutschland Hilfe brauchen, sie ist auch Präsidentin eines Hilfswerks, das sich für kranke und behinderte Kinder in Kamerun einsetzt. „Siloah-one- international" heißt die Organsisation. 

Hier geht es zur Webseite => KLICK

Seit der Gründung im Jahr 2007 ist Siloah-One-International e. V. unabhängig und verfolgt keine politischen Ziele.





Unser Hauptanliegen ist es, die Welt im Kleinen zu verbessern. Dabei konzentrieren wir uns auf Entwicklungshilfeprojekte in Bangante und Kamerun.
Wir setzen uns für Kinder und Arme ein, damit sie in dieser Welt Solidarität, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit kennenlernen.“




Im Augenblick bedrückt Lydie Thorun das Schicksal zweier kleiner kranker Kinder, die dringend in Europa operiert werden müssten: Das kleine Mädchen hat durch eine Krankheit bereits ein Auge verloren und droht nun gänzlich zu erblinden, dem kleinen Buben hat man krankheitsbedingt bereits beide Beine amputieren müssen. Sie hat eine dünne Pressemappe zusammengestellt, die sie demnächst großen Medien zukommen lassen will. Man merkt ihr an, dass ihr das Schicksal der beiden Kinder an die Nieren geht. Sie hat von ihnen bei einem Besuch in der Heimat erfahren. Zwei-, dreimal fliegt sie im Jahr nach Kamerun, erzählt sie, obwohl ihre vier Kinder und sechs Enkel in Europa leben, eine Tochter in England, die anderen drei sehr nah in Karlsruhe.

Karlsruhe war auch für Lydie Thorun viele Jahre zweite Heimat, denn ihr leider viel zu früh verstorbener Ehemann stammte von dort.

Die beiden hatten sich 1983 kennengelernt – beim Brunch an einem Frühstücksbüffet in einem Hotel in Douala/Kamerun. Sie war damals nach Jurastudium und Tätigkeit als Sportlehrerin eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die medizinische Pflanzen exportierte und Dosentomaten und Whiskey importierte. Als der Ehemann nach Deutschland versetzt wurde, ging sie natürlich mit – und landete mitten im November im trüben, kalten Hamburg. „Oje, oje, oje“, sagte sie auch heute noch mit Grausen, wenn sie an das Wetter dort denkt. So war sie heilfroh, als es später in den Süden Deutschlands ging.

Zur Jahrtausendwende ging es noch ein paar Kilometer weiter gen Süden, richtig raus aufs Dorf, aber es stellte sich heraus, dass ihr stressiger Beruf im Labor und heute in ihrem privaten Pflegedienst als Beatmungsbetreuerin zeitlich nicht mit den Tücken des Nahverkehrs kompatibel war. Was ja nur gut ist, denn seit fünf Jahren lebt und arbeitet Lydie Thorun deshalb in Baden-Baden.

Und hier engagiert sie sich nun auf vielfältige Weise. Nicht nur mit ihrem Hilfswerk Siloah, das übrigens nach einem biblischen Wunder benannt wurde:

Zitat Wikipedia:

Johannes berichtet ebenfalls über ein Wunder Jesu, die Heilung eines Blindgeborenen, das direkt mit dem Siloah-Teich in Verbindung steht (Joh 9,7 EU):
Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden. Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

Auch diverse Flüchtlinge haben bereits ihre tatkräftige Hilfe erfahren. „Ich schreibe ihre Geschichte für die Asylverfahren auf“, sagt sie schlicht. Außerdem arbeitet sie mit einem Anwalt zusammen, der für Asylverfahren zuständig ist. Bis zum europäischen Gerichtshof hat sie schon geschrieben und sich das Bleiberecht eines ihrer Schützlinge eingesetzt – und „es hat geklappt.“ Das freut sie dann, das sieht man ihr an.

Was ist die große Triebfeder ihres Lebens?

Helfen, eindeutig: „Jeder, der Hilfe braucht, kann sich an mich wenden. Wenn ich helfen kann, dann helfe ich.“ Nicht mehr und nicht weniger.

*

Wer Lydie Thoruns Kochkünste probieren möchte, ist herzlich eingeladen, beim Willkommensfest für die Flüchtlinge in Baden-Baden am 21. März in der Festhalle Oos ab 15 Uhr vorbeizukommen. Das Fest wird organisiert vom Bündnis "Baden-Baden bunt statt braun" und der "Kampfkunst-Akademie Baden-Baden", sowie vielen ehrenamtlichen Gruppierungen, die sich in Baden-Baden in der Flüchtlingshilfe engagieren.

Nach einem sehr bunten Programm, für das übrigens einige Asylbewerber als Überraschung schon fleißig deutsche Lieder und Gedichte einüben, wird Lydie Thorun in der Küche die Schürze umbinden und die Töpfe füllen. Zehn weitere Frauen werden sie unterstützen, außerdem wird sie noch einige Frauen aus der Asylbewerberunterkunft bitten mitzumachen. Ab 18 Uhr sollen Kostproben aus möglichst allen vertretenen Ländern angeboten werden. Internationaler geht es nicht! Der Eintritt zum Fest ist frei, um die Zutaten für das Essen begleichen zu können, wird eine Spendenkasse aufgestellt.

Eine schöne Gelegenheit, in zwangloser Atmosphäre unsere neuen Mitbewohner kennenzulernen und zu "beschnuppern". Vielleicht ergeben sich sogar erste Kontakte. 
Machen Sie mit! Es ist ein Fest für ALLE Baden-Badener. 



Mehr Geschichten über Menschen in Baden-Baden finden Sie hier => KLICK