Menschen in Baden-Baden, heute:
Nathalie Somville
(K)eine Frage: Ein anderes Wort für Kino? - Nathalie Somville!
Denn: Sie lebt, atmet, träumt, liebt, ist - Kino, Kino, Kino.
Und Kino, das ist für sie ihr Moviac, im Kaiserhof der Sophienallee.
Der Standort des Kinos ist sehr alt: Bereits 1905, also zehn Jahre nach der ersten Kinovorstellung überhaupt, damals im Berliner Varieté Wintergarten, wurde das Filmtheater im Kaiserhof vom Kinopionier August Daub eingerichtet. Bis 1996 wurde es mit Unterbrechungen als kleines, feines Baden-Badener Kulturkino unter dem Namen "Filmcasino" betrieben. Es war also nicht nur das erste Kino in Baden-Baden, sondern ist der älteste noch erhaltene Kinostandort in Deutschland.
Und wie kamen Nathalie Somville und ihr Partner Peter Morlock zu den Räumlichkeiten? Eine abenteuerliche Zufallsgeschichte...
... die eine Vorgeschichte hat und ein schönes Beispiel dafür ist, das Zufall etwas ist, das einem im Leben "zufällt", wenn man nur aufmerksam ist. So war das auch für das junge Paar:
Die 32jährige Nathalie Somville, gelernte Einzelhandelskauffrau, stammt aus Salzgitter. Aus privaten Gründen schnupperte sie als Praktikantin in eine Werbefilm-Produktionsfirma hinein, fing Feuer, zog irgendwann nach Pforzheim und lernte dort bei der Arbeit Peter Morlock kennen und lieben. Beide beschlossen, gemeinsam eine neue Firma zu gründen.
"Peter hat schon mit sechs Jahren seine erste Kamera in der Hand gehabt", beschreibt Nathalie Somville die Aufgabenverteilung der beiden: Er ist der Regisseur, sie die Produzentin. Die Firma "Kinospot" - wie der Name schon sagt, produzieren sie Werbefilme, die bundesweit in deutschen Kinos gezeigt werden - lief und läuft gut, aber nach vier Jahren wurde es den beiden in Pforzheim zu ungemütlich. Das Viertel veränderte sich stark und hatte irgendwann einfach nicht mehr ein Ambiente, in dem ihre Auftraggeber gerne vorfuhren. Man hielt die Augen offen, suchte im Internet nach alten Villen.
Es war das Jahr 2006, als die beiden jungen Leute aus einer Laune heraus beschlossen, die damals legendäre Chagall-Ausstellung im Burda-Museum zu besuchen und ... sie verliebten sich sofort ins schöne Baden-Baden. Spontan beschlossen sie, per Navigationsgerät weitere Sehenswürdigkeiten der Stadt anzusteuern.
Als sie den Merkurberg eingaben, führte das Gerät sie falsch, nämlich durch die Lilienmattstraße. Am Ende der Sackgasse machten sie notgedrungen Halt und stiegen aus. Ein magischer Augenblick: "Schafe weideten auf der Wiese, über uns flogen Paraglider, hinter uns diese wunderschöne Kastanienallee..." Noch heute leuchten Nathalie Somvilles Augen, wenn sie daran zurückdenkt. "Wenn, dann würde ich am liebsten in genau so einer Straße wohnen", entschlüpfte es Peter Morlock. Die Antwort seiner resoluten Begleiterin kann man sich wahrscheinlich vorstellen...
Wieder in Pforzheim kramte Peter Morlock das Exposee einer alten, in Baden-Baden zum Verkauf stehenden Villa hervor, das schon länger auf seinem Stapel lag, rief den Immobilienhändler an, machte einen Termin aus, gab die genannte Adresse ins Navigationsgerät ein und siehe da - man landete wie im Traum direkt in der Lilienmattstraße vor einem denkmalgeschüzten Haus. Der Rest war reine Bauchentscheidung: Das Paar und die Firma zogen nach Baden-Baden.
Sechs Jahre später, im Dezember 2012, liefen die beiden zu Fuß zum Weihnachtsmarkt und redeten einmal mehr über die Kino-Situation in Baden-Baden, die die beiden Cineasten oft nach Karlsruhe fahren ließ. Als sie am Kaiserhof vorbeikamen, hing im damaligen Apple-Store ein "Zu Vermieten"- Schild. Kaiserhof - hatte es da nicht einmal ein Kino gegeben? Aber befand es sich ausgerechnet in diesen Räumlichkeiten? Gibt es solche Zufälle?
Nun... die Geschichte ist schnell zu Ende erzählt. Nathalie Somville erinnert sich ganz genau, dass Peter Morlock sie am nächsten Tag triumphierend anrief, als sie gerade - ausgerechnet - auf einem Zahnarztstuhl saß. Sie besichtigten die Räume und spätestens als sie den ungenutzten Saal mit der schiefen Ebene, mit ein paar übriggebliebenen alten Kinositzen und der heruntergekommenen Leinwand erblickten, stand für sie fest: "Wir müssen hier ein Kino aufmachen."
Gesagt, getan. Bereits am 15. Februar 2013 begannen die Umbauarbeiten, Freunde und Familie packten mit an, es war eine turbulente Zeit. Am 27. April wurde Eröffnung gefeiert.
Dazu hier ein Filmbeitrag des SWR:
Und die Resonanz der Baden-Badener zu diesem kleinen Kino mit nur 46 aber höchst komfortablen Sitzplätzen? Verhalten. Liegt es am Programm? Nathalie Somville holt tief Luft und beginnt zu reden, ereifert sich, begeistert mich... Ich weiß jetzt, wie man ein Kino führt, wie schwierig die Verhandlungen mit den Verleihfirmen sein können, welche vertraglichen Fesseln man angelegt bekommt, wenn man gleich nach dem Start einen Blockbuster zeigen will, ich weiß, dass von jeder verkauften Kinokarte rund die Hälfte an die Verleihfirma abgeführt werden muss, dass der Rest für Miete, Strom und Kreditraten reichen muss, dass die beiden kinoverrückten jungen Leute ihre eigene Arbeitszeit gar nicht mitrechnen, dass sie ihren Brotberuf brauchen, um ihre Leidenschaft ausleben zu können...
Peter Morlock hat während meines Besuchs gar keine Zeit für mich. Hochkonzentriert steht er am Rechner, will und soll nicht weiter gestört werden. Aber für einen Schnappschuss hat es doch gereicht. Man sieht: Heutzutage hat Kino nicht mehr viel mit Kurbel, Projektoren oder Filmrollen zu tun, sondern mit Computertechnik. Kinobetreiber lassen sich leihweise eine Festplatte mit dem gewünschten Film schicken und erhalten für eine bestimmte Zeitdauer einen Abspielcode.
Ich erfahre auch, wie es ihnen gelang, die Vorführrechte für "Monsieur Claude und seine Töchter" zu ergattern, ihr Riesenerfolg schlechthin: Seit Wochen sind sie jeden Abend ausverkauft, weil der Film in Baden-Baden ausschließlich in ihrem kleinen Kino läuft, nicht beim großen Konkurrenten. "Ich habe den Trailer im April gesehen, bevor der Film überhaupt gestartet war, und habe mich sofort dafür beworben. Niemand wusste, ob er ein Erfolg werden würde. Das war die sprichwörtliche Katze im Sack." Man merkt Nathalie Somville die Genugtuung an, dass ihre Rechnung aufgegangen ist.
Aber sie ist auch vorsichtig. "Das war reines Glück. So was kann man nicht wiederholen", schätzt sie die Lage pragmatisch ein. Ausverkauft zu sein, zieht zudem andere Dinge nach sich. Zum einen die Erkenntnis, dass Erfolg sehr anstrengend sein kann. "Zum Glück ist im Sommer in der Werbefilmbranche eine kleine Flaute", sagt sie lachend. Insofern war das Timing perfekt. Trotzdem war sie froh, dass sie dieses Jahr ohnehin geplant hatten, das beliebte open-Air-Mondkino auf dem Waldseeparkplatz ausfallen zu lassen. Zum anderen, dass der Erfolg es ihnen nun auch ermöglicht, Spartenfilme zu zeigen.
So gibt es im Moviac inzwischen Filme unter Mitwirkung des deutschen Alpenvereins, der deutsch-israelischen Gesellschaft oder der Volkshochschule, und zur Zeit eine kleine Sonderreihe zum Thema Erster Weltkrieg. Ein Wagnis. Der alte Film "Im Westen nichts Neues" füllte das Kino leider nur zur Hälfte. Trotzdem griff Nathalie Somville bei einem zweiten, diesmal brandneuen Anti-Kriegsfilm sofort zu:
"Im Krieg 3 D" lief gestern im Moviac, zwei Tage nach der deutschlandweiten Premiere, und Regisseur Nikolai Vialkowitsch kam höchst persönlich zum anschließenden Publikumsgespräch vorbei. Und das machte Nathalie Somville nervös. "Wenn das Kino nicht voll wird, wäre das extrem peinlich", sorgte sie sich im Vorfeld. Nun, soeben kam die Nachricht, dass der Besuch besser als erwartet war, dass es eine lebhafte Diskussion gab und das Publikum sehr beeindruckt war. Fazit: "Alles super gelaufen."
Aber welche Filme sieht sich eine Kinobetreiberin am liebsten an?
Die Frage bringt sie kurz aus der Fassung. Erst will sie sich auf kein Genre festlegen, aber dann rückt sie doch mit ihrem Lieblingsfilm heraus: Billy Wilders Komödie"Eins, zwei, drei." => KLICK
Und dann wären da noch alle möglichen Vampirgeschichten, von Nosferatu bis Underworld ("alles außer Twilight", wird gleich eingeschränkt), aber auch ganz aktuell natürlich "Boyhood" und "Wir sind die Neuen".
Wie darf man sich das Wohnzimmer der zwei Kinoverrückten vorstellen? Vollgestopft mit Filmrollen, Projektoren, Filmplakaten und DVD-Regalen? Sie lacht herzlich. "Nichts davon." Als Werbefilmer geht man mit der Zeit, hat seine Schätzchen längst allesamt digitalisiert. Die alten DVDs verstauben in irgendwelchen Kisten und Kartons.
Und was machen zwei Kinoverrückte in der Freizeit?
Freizeit? Sie muss lange nachdenken, bis ihr einfällt, was das sein könnte, denn für sie ist das Leben eine Einheit, da wird nichts in Beruf oder Freizeit aufgeteilt. Dann leuchtet ihr Gesicht auf. "Manchmal gönnen wir uns ein Kinofrühstück. Da holen wir uns am Sonntag morgens Brötchen und Kaffee und kommen hierher und sehen uns einen Film an, nur wir zwei. Das ist toll!"
Trotzdem. Es muss doch Freizeit geben! Ja, räumt sie ein. In Südfrankreich waren sie einmal in Ferien. Aber ob das gilt? Da haben sie nämlich ihren Weinlieferanten, das Weingut Moyau (für weitere Informationen bitte aufs Bild unten oder hier klicken => KLICK), besucht, das, wie Peter Morlock im Internet herausgefunden hatte, auch Ferienwohnungen vermietet. Und wieder so ein Zufall: Die Mutter des Weingutbesitzers wohnt in Baden-Baden.
Tja... und was machen zwei Kinoverrückte, wenn sie auf einem Weingut in Südfrankreich am Mittelmeer Urlaub machen? Richtig! Sie zücken ihr Smart-Phone und drehen einen kleinen Dokumentar-Film über das Weingut...
Nachtrag: eine Woche nach Erscheinen dieses Berichts wurde hat die Filmförderung Baden-Württemberg dem Moviac den Preis "ausgezeichnetes Kinoprogramm 2013" verliehen.
Moviac im Kaiserhof
Sophienstraße 22/ Ecke Stephanienstraße
76530 Baden-Baden
Website: http://www.moviac.de/
Tickets online oder unter 07221-920-3920
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