Sonntag, 10. August 2014

Markus Schlotter




Menschen in Baden-Baden, heute:

Markus Schlotter








Am Anfang ist das Wort: „Kaffee“, sage ich etwas unvorsichtig. „Ich nehme gerne einen Kaffee.“
Aber es klingt falsch in diesem Ambiente. Jutesäcke drängen sich im Regal hinter mir, prall gefüllt mit rohen Kaffeebohnen, bedruckt mit exotischen Ländernamen aus dem "Kaffeegürtel" nahe dem Äquator, vor mir reihen sich alt- und neumodische Kaffeefilter auf, bunte Zuckerbehälter, Kaffeeautomaten, stabile Papiertüten mit fertigen Bohnenmischungen, deren Namen „Rasselbande“, „Harte Jungs“, „Großer Bruder“ oder „kleine Schwester“ schon signalisieren, dass hier individuell und mit Liebe produziert wird.





Markus Schlotter, mein heutiger Gesprächspartner, runzelt freundlich die Stirn, und mir schwant, dass „Kaffee“ nicht ganz die Antwort ist, die er auf seine Frage, was er mir anbieten darf, erwartet hat.
„Und welchen?“
Gute Frage.
Ich schweige hilflos.
Mir fallen die vielen Zubereitungsarten für Kaffee ein und als schnöder, unsensibler Morgentrinker, der mit dem Zeug einfach nur wach werden will, kommen mir allmählich in diesem Kaffee-Paradies Bedenken, ob ich eventuell fehl am Platze bin oder die Geduld meines Gegenübers unnötig strapazieren könnte.
Doch so schnell kann Markus Schlotter nichts erschüttern.
„Mild oder kräftig?“, hakt er nach.
„Mittel?“, schlage ich vor.




Er legt den Kopf schräg und lächelt, und man merkt ihm an, wie der mich abschätzt um herauszufinden, mit welcher Sorte und welcher Zubereitungsart er meinen Geschmack treffen könnte. Angesichts seiner hinreißenden Begeisterung, die sich vom ersten Augenblick an unweigerlich und ganz unaufgeregt auf mich überträgt, schwindet meine Befürchtung, ich könnte seine „Prüfung“ für heute sein. Warum sollte ich. Vermutlich kennt er das Zaudern und – ja, auch das Unwissen zur Genüge, schließlich hat er einige Jahre sein eigenes kleines Café im Herzen von Baden-Baden besessen. Das L-Café oder richtig „Life&Coffee“ in der Hirschstraße, um genau zu sein. Es hatte sich in Windeseile zu einem Mekka der Kaffeekenner entwickelt, immer wieder habe ich in der Vergangenheit Lobeshymnen gehört. Immer wieder habe ich mir vorgenommen, endlich, endlich einmal vorbeizuschauen. Vor ein paar Wochen hat es den Besitzer gewechselt, und natürlich fällt einem genau in diesem Moment schmerzlich ein, etwas verpasst zu haben.

Aber manchmal schenkt einem das Leben eine zweite Chance, und hier ist sie: Ich habe Markus Schlotter gefunden, draußen vor den Toren der Stadt, in Sinzheim, im Industriegebiet am Markbach. Hier verwirklicht er nun – in bester Nachbarschaft von „cityandmore" => KLICK – in einer riesigen Halle seinen Lebenstraum von einer eigenen Kaffeerösterei. Und er tut dies mit glühender Leidenschaft, die jeden fasziniert.
Sorgfältig gießt er noch für zwei Kunden, die vor mir eingetrudelt sind, per Hand einen Filterkaffee auf, dann ist meine Tasse dran. Beiläufig fotografiere ich in der Halle, während er die Maschine anwirft, den Kaffee zubereitet und mit konzentrierter Miene die Milch angießt, bis ich einen Anflug von Enttäuschung in seinem Gesicht bemerke
Da erst sehe ich, was er mir gezaubert hat:




Wohl allerletztes Mal in meinem Leben nippe ich gedankenverloren an einer Kaffeetasse, während ich in meinem Notizblock blättere und mir die erste Interviewfrage durch den Kopf schießt.
Ich vergesse sie.
Denn dieser Schluck – mmmhh! Dieser Kaffee! Himmlisch. So cremig, so mild, so duftig, so feinporig, so angenehm würzig, so...

Unsere Augen treffen sich, und Markus Schlotter nickt erleichtert.

Zu Recht. Er hat es geschafft! Ich bin angekommen in seiner Welt. Voll und ganz. Einen perfekteren Kaffee habe ich noch nicht getrunken.

Markus Schlotter kann meine Begeisterung verstehen. Genauso ist es ihm vor fünfzehn oder zwanzig Jahren auch gegangen, als er bei einem italienischen Kaffeehändler im Ruhrgebiet zum ersten Mal einen originalen Cappucino serviert bekam. Für ihn, den gelernten Elektriker, war es eine Offenbarung. „Seitdem war ich auf der Suche nach genau diesem Geschmack. Aber ich habe ihn einfach nicht gefunden“, sagt er. Und damit war sein Schicksal besiegelt, nahm sein Leben einen neuen Verlauf. „Ich will ein eigenes Café aufmachen“, beschloss er.
Zielstrebig arbeitete er sich seitdem in die Welt des Kaffees ein. Der Schichtdienst im von jeher ungeliebten erlernten Beruf ermöglichte es ihm, sich in Seminaren weiterzubilden. Erst erlernte er als Barista das Basiswissen der perfekten Zubereitung bis hin zur Kunst, aus der Crema in der Tasse Herzen oder andere Figuren zu zaubern. Dann sparte er sich seine erste professionelle Maschine zusammen und stellte sie bei Pfarrfesten und anderen Events auf. Mit durchschlagendem Erfolg: „Die Leute standen Schlange, noch heute erinnern sie sich an meine Kaffeekreationen, wenn sie mich treffen.“
Immer mehr perfektionierte er die Kunst des Zubereitens, bis es folgerichtig Zeit wurde zum Sprung in die nächste Dimension: Nicht mehr die Zubereitung, sondern das Produkt an sich begann ihn immer mehr zu interessieren und zu faszinieren. Bücher über Anbau und Weiterverarbeitung von Kaffee inhalierte er geradezu, bald belegte er die ersten Röst-Seminare, wo er verfolgte, wie man Rohbohnen durch gezieltes Rösten veredeln kann.
Allmählich variierte Markus Schlotters Traum von eigenen Café. Jetzt sollte es ein Café mit angeschlossener Rösterei sein, wo, war ihm erst einmal egal.
Die Liebe gab schließlich den Ausschlag. Sie verschlug ihn nach Baden-Baden, das er sofort fest in sein Herz schloss. Sieben Jahre pendelte er noch zwischen Ruhrgebiet und der kleinen Stadt an der Oos, dann fügte sich alles: „Ich fand meinen Partner fürs Leben“, sagt er schlicht. Und damit begann endgültig die Suche nach einer geeigneten Örtlichkeit für Café und Rösterei.

Im August 2010 eröffnete Teil eins, Das kleine Café „Life & Coffee“ in der Hirschstraße und gewann schnell eine begeisterte Stammkundschaft. „Aber ich hatte immer die Rösterei im Hinterkopf“. Im Nachhinein ist er heilfroh, dass er nicht beides an einem Ort vereinen konnte, denn das Rösten benötigt höchste Konzentration.



Schon ein Jahr später hatte die Suche ein Ende, und er konnte mit seinem ersten kleinen 2,5-Kilo-Röster in der Halle Am Markbach loslegen. Er wurde Mitglied in einer Gemeinschaft, in der sich gut drei Dutzend Röster zusammengeschlossen haben. Sie beziehen ihre Bohnen direkt, ohne Umweg über Kaffeebörse oder Zwischenhändler, von kleinen Kaffeebauern, z. B. aus Honduras , Süd-Indien, Äthiopien, Ecuador, Guatemala, Uganda, Mexiko, und Brasilien (Bob-o-link).

Hier von seiner Website ein Zitat:

Bob-o-link“ ist der Name einer Singvogelart, die in den USA und Kanada heimisch ist und jedes Jahr in Südamerika überwintert. Dabei legt der kleine Vogel bis zu 20.000 Kilometer Flugstrecke zurück und überwindet alle Ländergrenzen auf seinem Weg. Inspiriert von dieser Leistung ist ein Projekt entstanden, dass beim Anbau von Kaffee auf die Stärke der Gemeinschaft, Umweltschutz und kompromisslose Qualität setzt – über geografische und gedachte Grenzen hinaus. Bob-o-link Kaffee hat seinen Ursprung in der historischen Kaffeefarm Fazenda Ambiental Fortaleza (Umweltfestung) in den Mogiana Bergen des brasilianischen Bundesstaates Sao Paulo. Der Eigentümer Marcos Croce kehrte der Monokultur den Rücken und stellte die Farm 1999 konsequent auf ökologischen Anbau um. Nach und nach folgten seinem Beispiel immer mehr Kaffeebauern aus der Region. Heute zählen 18 Kaffeefamilienbetriebe zur Produzentengemeinschaft Bob-o-link.Ihre Kaffees gedeihen im Einklang mit der Natur: auf einer Höhe von 900 bis 1.250 Metern ü. N.N., inmitten von Schattenbäumen und einer großen Pflanzenvielfalt. So gelingt es den Farmern Kaffees anzubauen, deren einzigartigen Charakter und natürliche Herkunft man schmecken kann. Diese Kaffees sind keine Massenware, sondern gehören zu den besten der Welt. Die reifen Kaffeekirschen werden deshalb auch mit größter Sorgfalt von Hand gepflückt und sonnengetrocknet.

Das Resultat: Jede einzelne Kaffeebohne kommt als kleiner Tresor bei uns an – randvoll gefüllt mit den besten und köstlichsten Aromen, die wir mit gekonnter Röstung „befreien“.


Markus Schlotters Sorgfalt zahlte sich aus, schnell sprach es sich herum, was er da zaubert, immer mehr Anfragen trudelten ein, Privatkunden, Restaurants und Hotels orderten seine mit Hingabe und äußerster Konzentration gerösteten Kaffeemischungen.
Bald begann sich der Perfektionist in ihm zwischen Café und Rösterei zu zerreiben. „Ich wollte alles mit Herz und alles richtig machen“, gesteht er. Kurz vor dem Burn-out fiel daher die Entscheidung, sich vom Café zu trennen und sich ganz aufs Rösten zu konzentrieren.
Seitdem steht er jeden Morgen ab sechs Uhr in der Frühe in der Halle und findet seine Arbeit sensationell!
Was nun folgt, ist eine kleine Lehrstunde in Sachen Kaffeerösten. Ich lerne, wo der Kaffeegürtel in der Welt sitzt (grob zwischen dem 25. Breitengrad Nord und Süd), dass Kaffee mit 149 Litern pro Kopf im Jahr das am meisten konsumierte Getränk in Deutschland ist, noch vor Mineralwasser und Bier, dass Großröstereien ihren Kaffee mit vier- bis fünfminütigen Hochtemperatur-Schockrösten quälen, dass industrielle gefertigter Kaffee daher oft sauer schmeckt, wenn man ihn kalt werden lässt, dass die Bohnen immer schwärzer und öliger werden, je länger man sie röstet und dass es auch Kaffeegeschäft „Trends“ gibt. Der neueste Schrei zum Beispiel ist – neben dem Kaffee aus der kleinen Rösterei – der gute alte Filterkaffee. Wobei die Handfilter heutzutage größere Durchlass-Löcher haben als früher. 




Ich sehe Markus Schlotter beim Rösten zu und bekomme eine Ahnung, was er mir sagen will. Da sind erst einmal die vielen verschiedenen Arten von Kaffee, die er in den typischen Säcken importiert. Die hohe Qualität kommt aber nicht in einfachen Jutesäcken, sondern ist innen in Plastik geschützt. Die rohen Bohnen sind grünlich, und sie duften nach Heu und Gras. Er wiegt sie sorgfältig ab, dann kommen sie in den riesigen zehn-Kilo-Röster, der längst das kleine Anfangsgerät abgelöst hat. 14 bis 20 Minuten bleiben die Bohnen dort bei hoher Temperatur, die ihnen die Säuren austreibt. Minütlich, fast noch öfter holt Markus Schlotter kleine Proben aus dem Röster und schnuppert und lauscht.






Irgendwann fangen die Bohnen wie kleines Popcorn an zu knistern, dann entwickelt sich für wenige Sekunden ein stechender Geruch. Immer wieder schnuppert der Fachmann, bis er diesen Zeitpunkt und diesen stechenden Geruch wahrnimmt. Dann muss es schnell gehen: Bevor die Bohnen nun ein zweites Mal knacken, müssen sie raus und abgekühlt werden. Dann haben sie die richtige Farbe angenommen, nein, nicht schwarz, wie ich das von meiner Mischung aus dem Supermarkt kenne (das Schwarze, Ölige ist typisch italienisch, lerne ich), sondern hellbraun wie Milchkaffee. Es folgen weitere Arbeitsschritte, wie das Aussortieren kleiner Steinchen, die später die empfindlichen Kaffeemühlen zerstören könnten, das Mischen, Abpacken, Beschriften, und das Probieren, Probieren, Probieren.
Wie schmeckt die Röstung als Filterkaffee, wie als Espresso, wie als Cappuccino? All das will und muss Markus Schlotter wissen, und zwar täglich, für jeden Röstvorgang aufs Neue.






Wenn er abends irgendwann Feierabend macht, ist er fix und fertig, nicht nur von einem langen Tag, sondern auch von den Dämpfen der austretenden Säuren, die er den ganzen Tag eingeatmet hat und den Unmengen von Kaffee, die er gekostet hat. Aber auch von der positiven Energie, die er in die Produktion gesteckt hat. „Die merkt man“, davon ist er fest überzeugt.
Und was macht der Mann, wenn er heimkommt? Er liest Fachzeitschriften über Kaffee, blättert in Kaffeebüchern, und er träumt. Er träumt davon, einmal selbst auf eine Kaffeeplantage zu fahren und „seinen Kaffee“ ehrfürchtig vom ersten Setzling bis zum mühseligen Pflücken der Bohnen zu begleiten.
Bislang ist ihm das noch nicht vergönnt gewesen, die Urlaube führen ihn zu anderen Zielen, an denen Erholung ganz oben steht.
Erholen? Abschalten? Kann er das wirklich? Wie sieht es denn aus, das Erholen, wenn er den ersten Hotelkaffee vor sich hat?
Er lacht. Hotelkaffee? Nicht mit ihm. Wer Kaffee so liebt wie er, der reist selbstverständlich mit einem zweiten Koffer, in dem sich nicht nur selbst geröstete Kaffeebohnen befinden, sondern auch alle anderen Utensilien, die er für eine perfekte Zubereitung braucht, angefangen vom richtigen Filter über den Wasserkessel bis hin zur Kaffeemühle. „Nur gutes Wasser kann ich leider nicht mitnehmen“, sagt er und lacht dabei. „Ich liebe Kaffee nicht nur, ich lebe ihn.“






Die L-Rösterei am Markbach in Sinzheim-Kartung ist (mit Ausschank) jeden Freitag und Samstag von 11 bis 16 Uhr geöffnet und übrigens barrierefrei.

Hier geht es zur Website => KLICK

Hier zur Website des deutschen Kaffeeverbands: => KLICK

Mehr Geschichten über Menschen in Baden-Baden finden Sie hier => KLICK

+++ Hinweis in eigener Sache: Ich mache mit dieser Rubrik bis September Sommerpause +++