Menschen in Baden-Baden
Heute: Josua Straß
Aktualisierung: 2017 für den Deutschen Buchhandelspreis nominiert!
Ein Buchladen wie aus dem Bilderbuch, ein interessantes, vielseitiges Sortiment jenseits der Bestsellerlisten, ein freundlicher Besitzer, der den Lesegeschmack seiner Kunden kennt und im Glücksfall sogar weiß, was deren Freunde im Bücherral stehen haben, und der gestern bestellte Bücher heute innerhalb des Stadtgebiet ausliefert, schneller als jeder online-Versand. Gibt es nicht? Doch! Mitten in der Fußgängerzone von Baden-Baden, direkt neben dem Bürgerbüro des Rathauses.
Ich treffe mich mit Josua Straß im Café König. "Sonst haben wir keine Ruhe, ich bin immer mit einem Ohr bei meinen Kunden", sagt Josua Straß, und damit beschreibt er eigentlich schon sein Geschäfts- ach, richtiger: sein Lebensprinzip. Was ist es - was bewegt einen 42jährigen dazu, nahezu alles aufzugeben, nur um mit und für Bücher zu leben? Was treibt ihn dazu, sechzig, siebzig Stunden in seiner Buchhandlung zu arbeiten, um dann heimzugehen und ... Bücher zu lesen? Was steckt in ihm, das ihn nicht müde werden lässt, stets das richtige Buch in die richtigen Hände zu geben?
Liebe! Nennen wir es grenzenlose Liebe zum Buch. Und nicht nur das, denn was wäre ein Buchhändler ohne diejenigen, die diese Liebe wenigstens ansatzweise mit ihm teilen? Also ist es beides: Die Liebe zum Buch und die Liebe zum Kunden.
Das spürt man, sobald man den kleinen, feinen Buchladen in der Fußgängerzone sieht. Wer Bücher liebt, wird magisch angezogen von der freundlichen Fassade der Buchhandlung, er muss einfach nähertreten - und schon ist es um ihn geschehen, er taucht ein in das Reich der Geschichten und Biografien, der Märchen und Lebensweisheiten, der Ratgeber und Reisebeschreibungen... die Liste ließe sich ewig fortsetzen.
Stammkunden sind es zumeist, die in den Räumen anzutreffen sind. Kein Wunder, möchte man ausrufen, eingedenk einer wahren Szene, deren Zeuge ich vor einigen Monaten zufällig gewesen bin, und die so typisch für diesen Laden ist.
Kunde, männlich, circa Ende 70: "Ist Herr Straß da?"
Mitarbeiter: "Der ist auf der Buchmesse, kommt erst übermorgen zurück."
Kunde: "Oh, das ist schlecht. Ich muss ihn dringend sprechen. Können Sie ihn anrufen?"
Mitarbeiter greift ohne zu diskutieren zum Telefon, erwischt den Chef sogar.
Kunde: "Herr Straß, Sie müssen mir helfen. Mein Freund (nennt den Namen) hat Samstag Geburtstag und ich brauche ein bestimmtes Buch (nennt den Titel). Hat er das schon?"
Pause. Das Gesicht wird betrübt. "Oh, Tatsächlich? Das habe ich ihm letztes Jahr schon geschenkt? Das ist mir ganz entfallen. Was würden Sie denn dann empfehlen? Ich will aber nicht mehr als 30 Euro ausgeben."
Pause.
Ein Strahlen geht über sein Gesicht. "Ja, das hört sich gut an. Und sind Sie sicher, dass er es noch nicht hat? Er list doch so viel."
Die Antwort scheint zufriedenstellend auszufallen.
"Ist es denn überhaupt vorrätig?"
Selbst das weiß der Chef im fernen Frankfurt und nennt sogar noch den richtigen Regalplatz.
Josua Straß lacht, als er an die Geschichte erinnert wird. "Datenaustausch ohne Datenmissbrauch" nennt er das, was sein eigentliches Geschäftsgeheimnis und Prinzip ist. "Ich weiß unheimlich viel über meine Kunden, aber ich treibe kein Schindluder damit." Kundenprofile werden ganz nebenei in persönlichen Gesprächen erstellt, ein phänomenales Gedächtnis tut sein übrigens.
Unvergleichlich ist wohl auch, dass er sich mit den anderen Kollegen in
der Stadt kurzegeschlossen hat. Mit den Antiquariaten im nahen Baldreit arbeitet er eng zusammen, und mit Marianne Wasserburger, der
Inhaberin des Kinderbuchladens "Mäx und Moritz", hat er eine
gemeinsame Aktion gestartet, mit der er die Baden-Badener dazu anregen
will, sich genau zu überlegen, ob sie ein Buch bei einem seelenlosen online-Händler oder doch lieber zum gleichen Preis mit gleichem, sogar besseren Service, in der Stadt bestellen.
Bis 17. 15 Uhr bestellt, ist das gewünschte Buch am nächsten Morgen um 9 Uhr abholbereit, im Stadtgebiet zwischen Lichtental und Oos wird es auf Wunsch auch am selben Tag ausgeliefert. Wurde ein falsches Buch bestellt oder eines doppelt geschenkt - für Kunden der Buchhandlung Straß kein Problem: "Wir tauschen um."
Neben den geschätzten Privatkunden berät und beliefert der quirlige Buchhändler aber auch Schulen, Institutionen, Firmen. Mindestens einen halben Tag in der Woche benötigt Straß, um dieses Klientel bei der Auswahl beispielsweise von Firmengeschenken oder Seminarunterlagen zu beraten.
Angesichts der schier endlosen Bücherreihen und -stapel im Laden und dem nie enden wollenden Strom von Neuerscheinungen fragt man sich unwillkürlich: Wie wählt er sein Sortiment aus? Bestseller findet man bei ihm zwar auch, aber sie drängen sich nicht prominent ins Blickfeld. Bei Josua Straß kommt man sich eher wie ein Entdecker, ein Schatzjäger vor. Ausgefallene Bücher wechseln hier über die Ladentheke. "Verkäuflichkeit ist mir natürlich wichtig", meint er ganz pragmatisch, dennoch bestellt er eher intuitiv. Verlagsprofile, Autorennamen, Erfahrung, thematische Kritieren, die in Wellen in den Buchhandel schwappen. "Ich kaufe ein Buch oft auch nur deshalb ein, weil ich weiß, dass ich einen Kunden dafür habe, das Bauchgefühl ist das Zünglein an der Waage". Hinzu kommen wertvolle Gespräche mit Verlagsvertretern, die ihn im Laden besuchen. Zweimal im Jahr deckt er sich bei über 120 Verlagen mit Büchern ein, ein Vabanquespiel, denn ein Rückgaberecht hat er nur eingeschränkt. "Was ich bestelle, muss ich auch verkauft bekommen, aber ich schwatze niemandem etwas auf." Ein Spagat: "Ich muss gleichzeitig ein guter Verkäufer und ein guter Kaufmann sein."
Trotzdem treiben den jungen Buchhändler Tag und Nacht Existenzsorgen um.
"Ich habe in den sieben Jahren, in denen ich am jetzigen Standort bin,
zwar die Kundenfrequenz verdreifacht", sagt er, "aber alles kann auch ganz
schnell vorbei sein". Der Gang über die Buchmesse bereitet ihm regelmäßig schlaflose Nächte: "Wie und an wen soll man das alles verkaufen", fragt er
sich dann.
Und dann ist da noch das Damoklesschwert, das über der ganzen Brnache schwebt: "An dem Tag, an dem die Buchpreisbindung fällt, sind wir arbeitslos", weiß er. Es ist ihm klar, wie schnell alles vorbei sein kann, was er sich mit unendlichem Arbeitsaufwand und unter schmerzhafter Vernachlässigung von Freizeit und Familienlebens, aufgebaut hat. "Ich kann nur versuchen so gut zu sein, dass ich so lange ie möglich durchhalte", ist seine Maxime. Sechs Mitarbeiter unterstützen ihn dabei, eine Vollzeitkraft, eine Auszubildende, zwei Teilzeitkräfte und zwei Aushilfen.
Als wär's noch nicht genug, bringt er auch noch dreimal jährlich den "Eulenbrief" heraus, ein kostenloses Kundenmagazin mit Lesetipps aller Mitarbeiter, selbst geschriebenen Rezensionen, Auotoren- und Verlagsportraits sowie Hinweisen auf Ausstellungen und Literaturtermine in der Stadt.
Kann man bei so viel Arbeit überhaupt abschalten? "Schwer", gesteht er. Bei einer 60- bis 70 Stunden-Woche bleibt nicht viel Zeit, wenn er abends Autorenlesungen veranstaltet, ist der Tag auch mal 14 bis 16 Stunden lang. Die wenigen freien Momente, die er hat, verbringt er mit seinen vier Kindern und ... natürlich mit Lesen. Ein Lieblingsgenre hat er nicht, er liest in strengem Wechsel Roman, Kinderbuch, Biografie, Krimi, Sachbuch und wieder von vorn Roman, Kinderbuch..."Ich muss mich doch überall auskennen."
Das Lesen liegt ihm natürlich seit Geburt im Blut. Aufgewachsen in einem Buchhändlerhaushalt, konnte der kleine Josua bereits mit drei Jahren lesen, mit vier hatte er Grimms Märchen ("ungekürzt!") durch, wenig später wurde er dabei abgelichtet, wie er im Kindergarten anderen Kindern vorlas. Und doch waren die Bücher keine Einbahnstraße für den vielseitig interessierten Jungen. Schon früh wusste er alles über Fische, Wale, Kraken, Korallen, einfach alle Meerestiere, dann kamen - zu jener Zeit noch eine Seltenheit - die Dinosaurier dran, zu denen damals lediglich Erwachsenenlitertur zur Verfügung stand, es folgten Astronomie, griechische Sagen...
Auch als er als Jugendlicher vor der Berufswahl stand, war sein Lebensweg nicht eindeutig vorgezeichnet. Chiropraktiker wäre er gern geworden, aber die Ausbildung war einfach uenrschwinglich teuer gewesen. Also begann er 1992 nach Abi und Zivildienst seine dreijährige Buchhändlerlehre in Tübingen, studierte anschließend noch Englisch und Altgriechisch fürs Lehrfach. 1997 aber kehrte er nach Baden-Baden zurück und betrieb zusammen mit seinem Vater den versteckten Buchladen in der Passage in der Kreuzstraße. 2006, ein halbes Jahr, nachdem der Vater in den Ruhestand ging und er den Betrieb übernahm, zog er in die Räumlchkeiten in der Gernsbacher Straße um, in denen die Buchhandlung heute noch residiert.
Ein optimaler Standort, möchte man meinen, aber auch einer mit Tücken, wie er gleich nachsetzt:
Gerade am Wochenende, wenn das Bürgerbüro nebenan
schließt, schlüpft er in einen Nebenjob: Dann ist er Person des
öffentlichen Lebens, Auskunftei, Fremdenverkehrsbeauftragter in einer Person. "Wo kann man in Baden-Baden gut essen, schön wandern, wo ist die
nächste öffentiche Toilette, Sehenswürdigkeiten für einen dreistündigen
Aufenthalt, wo kann man Kopien machen, wo gibt es ein Internetcafé - all
das beantwortet er dem internationalen Publikum freundlich und versiert, nicht
nur auf deutsch, auch Französisch- und Italienischkenntnisse hat er sich inzwischen
angeeignet. Und Russisch? Josua Straß: "Nicht unbedingt mein Klientel."
"Ein wunderschöner Beruf ist das", schwärmt er, allen Widrigkeiten zum Trotz. "Jeder Tag, jede Woche, jedes Jahr bringt etwas Neues". Was denkt er, wenn er morgens den Laden aufschließt? Er lacht. "Das hängt davon ab, wieviele Packstücke auf mich warten." Was würde er sich wünschen, wenn er einen Wunsch frei hätte? "Mehr Zeit für alles, was mir wichtig ist." Und was wäre das konkret? Er wäre kein Buchhändler, wenn er nicht gleich ein passendes Buch dazu an der Hand hätte: Über Selma das genügsame Schaf, das auf eine solche Frage antwortet, ... - Nein, das müssen Sie schon selber lesen!
Aber bleiben wir bei Josua Straß, dem Buchhändler. Was also konkret würde er sich wünschen, wenn die berühmte gute Fee käme? "Mehr Zeit für die Kinder, fürs Lesen und zum Wandern."
Zum Lesen zieht er sich gern in die Natur oder den Saunabereich der Caracallatherme zurück, verrät er noch, aber mindestens ebenso leidenschaftlich wandert er, seitdem seine Knie die gewohnten Mittelstrecken-Joggingrunden nicht mehr zulassen. Der Südschwarzwald, die Schweiz und Südtirol gehören zu seinen erklärten Lieblingszielen, den Stadtwald um Baden-Baden kennt er natürlich wie seine Westentasche. Und es wäre nicht Josua Straß, wenn er nicht Hobby mit Beruf verknüpfen würde: So arbeitet er derzeit mit seiner Mitarbeiterin Anja Möbs zusammen an einem Wanderbuch, für das die beiden ausschließlich stadtnahe Ziele erfassen und beschreiben wollen, alles innerhalb des Busliniennetzes. Im Herbst soll das Buch erscheinen.
Eine letzte Frage: Würde er etwas anders machen im Leben? - "Nein." - Warum nicht? Josua Straß zögert. "Weil es sich richtig anfühlt", sagt er dann leise, und seine Augen leuchten dabei. Dann muss er wieder los, sich um seine Kunden kümmern. Und um die Bücher, die Bücher...
Telefon: 07221-24135
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 9 bis 19 Uhr.
Website zum Stöbern und Bestellen: Klick
Hier geht es zu meinem Blogeintrag über Josua Straß als frisch gebackenen Buchautor => KLICK
Ab 1. Juli 2015 übernimmt er zusätzlich den Kinderbuchladen Mäx+Moritz von Marianne Wasserburger, die leider aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste.
Aktualisierung: Im August 2017 wurde die Buchhandlung Straß für den deutschen Buchhandelspreis nominiert! Herzlichen Glückwunsch! => KLICK
Aktualisierung:
Im Frühjahr 2018 nimmt Josua Straß aktiv an der Ausstellung der staatlichen Kunsthalle Baden-Baden teil und dreht alle Bücher in den Regalen um. Hier geht es zu meinem Bericht über diese Aktion => KLICK